Integrierte Projektabwicklungsmodelle (Allianz- / Mehrparteienverträge)

Veröffentlicht am: 29. April 2022Kategorie(n): Bau- und Planungsrecht

Warum sind grosse Bauvorhaben derart anfällig für Probleme? Ihre Entwicklung, Planung und  Ausführung ist meist sehr anspruchsvoll; das Zusammenspiel einer Vielzahl von involvierten Personen und anspruchsvoller technischer Fragestellungen schaffen unzählige Schnittstellen und potenzielle Reibungspunkte. Zusätzlich stehen Kosten und Termine im Fokus. Der Druck ist hoch. Budgetüberschreitungen durch Fehlleistungen oder Terminverzögerungen lassen Projekte oft zum Misserfolg werden. Die Ursachen hierfür sind vielgestaltig.

Silodenken vs. Kooperation

Eines haben die meisten dieser Probleme aber gemeinsam: Die beteiligten Personen und Teams haben vor allem ihre eigenen Interessen gegenüber dem Auftraggeber zu verteidigen. Sei dies gegenüber dem Bauherrn, gegenüber einem Entwickler oder gegenüber einem Generalunternehmer. Das Ziel jedes Beauftragten ist es, einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen und möglichst wenig Risiken einzugehen. Diesen beiden Aspekten wird fast alles untergeordnet. Die Sicherung solcher Ansprüche führt dazu, dass die Aufmerksamkeit an eigenen Termin- und Leistungsschnittstellen enden und Risiken durch Abmahnungen und Projektänderungsanzeigen beseitigt werden sollen. Sobald in der Projektorganisation oder im Projektablauf Turbulenzen auftreten, schalten sich reflexartig zwei Automatismen ein: Die Betroffenen versuchen das eigene Verlustpotenzial so gering wie möglich zu halten und sie richten ihr Augenmerk auf den Schutz eigener Rechtspositionen. Die in solchen Situationen häufig beigezogenen Juristen und Juristinnen verstärken diesen Effekt massgeblich, liegt deren systemimmanente Aufgabe doch im Schutz resp. der Verbesserung der (Rechts-)Position ihres Klienten. In solchen Situationen – die bei Grossprojekten zufolge deren Komplexität naturgemäss oft vorkommen – richten die Beteiligten den Fokus nicht auf eine gemeinsame Problemlösung und/oder den Projekterfolg.

SIA – Phasenmodell

Die gängige Projektabwicklung in der Schweiz richtet ihre Planungs- und Produktionsprozesse fast selbstverständlich auf das Phasenmodell der SIA aus. Dieses hierarchische Ablaufprinzip schafft ideale Anreize für den Bauherrn, seine Bestellung bei Planungsbeginn auf Eckpunkte oder subjektiv relevante Einzelpunkte beschränkt zu halten und die Konkretisierung auf mehrere Planungsabschnitte zu verteilen. Sie schafft günstige Bedingungen, Planungsaufträge isoliert in Teilphasen zu betrachten, reine Preiswettbewerbe vor der Phase «Ausführung» anzustrengen, Knowhow der Unternehmer erst in der Phase «Ausführung» abzuholen und Risiken auf den letzten Unternehmer in der Kette zu überwälzen. Anliegen des späteren Betriebes fliessen häufig nur in Form von Benchmarks oder schriftlichen Berichten ein; ihr Inhalt wird durch die Planer entsprechend häufig unzureichend verstanden und implementiert.

Fokus auf den Projekterfolg

Wir haben an Workshops die Gruppenteilnehmer aus der Bau- und Immobilienwirtschaft gefragt, welche Änderungen sie an der gegenwärtigen Auftragsabwicklung vornehmen würden, wenn sie frei in deren Gestaltung wären. Die Antworten lauteten u.a.: «Freude an der Arbeit zurückerhalten; Ressourcen auf die Facharbeit konzentrieren; klare Zielvorgaben; Risikoüberwälzung nur, soweit man sie beeinflussen kann; Möglichkeiten zur Kreativität und Optimierung; Einbindung der Unternehmer in die Planung; verständliche Verträge

Die Lösung für die eingangs aufgezeigten Problemstellungen liegt in einem Kulturwandel. Es geht um die Bündelung von Einzelinteressen und die Fokussierung auf den Projekterfolg. Wie lässt sich dies erreichen? Die Antwort auf diese Frage liegt in den Prozessen und den Anreizen, welche die Bauherrschaft den Beauftragten gibt. Ein gemeinsamer Projekterfolg versus eine individuelle Risikominderung und versus eine individuelle Gewinnmaximierung. Ohne ein aktives Zutun der Bauherrenorganisation(en) wird der besagte Wandel nicht zu schaffen sein. Dieses Engagement auf der Bauherrenseite hängt unseres Erachtens stark von der Frustrationstoleranz gegenüber den bisherigen Modellen ab; erst wenn diese erreicht ist, wird genügend Energie für Veränderungen aufgebracht.

Integrierte Projektabwicklungsmethodik

Sogenannte Integrierte Projektabwicklungsmethoden (IPA) setzen auf eine partnerschaftliche Abwicklung der Projekte. Ein Blick ins Ausland lässt erkennen, dass sich im Kontext von grossen Industrie- und Infrastrukturprojekten bewährte Methoden entwickelt haben, die darauf abzielen, auf Basis einer klaren Zielbeschreibung der Bauherrschaft das Knowhow für die Errichtung der Schlüsselgewerke zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zusammenzubringen. Zu einem sehr frühen Planungszeitpunkt werden durch den Bauherrn geeignete Teams aus der Planung, dem Engineering, der Ausführung und dem Betrieb zusammengebracht und mit der anforderungsreichen Aufgabe betraut, die geeignetsten Lösungsansätze und den geeignetste Weg zur gemeinsamen Erfüllung der Zielvorgabe zu erarbeiten. Dieser frühe Einbezug der Beteiligten aus Ausführung und Betrieb führt dazu, dass grösstmögliche Sicherheit in Bezug auf die Umsetzbarkeit und die Wirtschaftlichkeit der Planung und den späteren Betrieb erreicht wird. Die Projektabwicklung erfolgt in echter Kollaboration unter den Beteiligten. Die projektinvolvierten Personen arbeiten auf einen gemeinsamen Erfolg hin, dem eine volle Partizipation an Gewinn- und Verlust zu Grunde liegt. Das Honorar setzt sich – je nach Ausgestaltung – aus einem tiefen Basishonorar und einem erheblichen Gewinnanteil zusammen. Die Vergütungshöhe ist also gesamterfolgsabhängig. Gleichzeitig werden die Projektrisiken – von spezifisch definierten negativen Verhaltensweisen abgesehen – von allen Beteiligten getragen. Dieses Anreizsystem führt automatisch dazu, dass alle Beteiligten ihren Blick auf den Projekterfolg richten und bei auftretenden Schwierigkeiten ein gemeinsames Interesse daran haben, diese rasch zu lösen.

Transparenz

Eine der grössten Abweichungen vom heute gängigen System ist das Erfordernis von Transparenz. Die Beteiligten haben sich bei dieser Art der Projektabwicklung nicht nur ihre Leistungen und ihr Knowhow, sondern auch ihre Kostenstrukturen offen zu legen. Konventionell gedacht führt diese Anforderung zu einer Abwehrreaktion. Allerdings nur solange, bis eine echte Gegenseitigkeit besteht und ob der plötzlich für alle gegenseitig verfügbaren Daten Optimierungserfolge erkannt werden. Es stellt sich gegenseitiges Vertrauen ein. Dieses Vertrauen ist wiederum die Grundlage für Kreativität und gegenseitige Motivation. Kollektive Intelligenz wird so zum Treiber des Projekterfolgs.

So revolutionär ist dieses Herangehen eigentlich nicht. Schreibt ein Bauherr althergebracht einen Gesamtleistungswettbewerb aus, erarbeiten die offertstellenden Teams zumeist – häufig auf mündlicher Vereinbarungsbasis – gemeinsam ein Offertprojekt aus. Eine häufig anforderungsreiche kreative Arbeit, die nur durch gemeinsames Knowhow, volle Transparenz und gegenseitiges Vertrauen möglich wird. Das Risiko eines Verlustes tragen alle gemeinsam. Als Teil des Teams wird nur bestehen, wer maximal performt und ungeschriebene moralische Regeln einhält. Der Erfolg wird von allen gemeinsam angestrebt und die Erfolgsrendite – nämlich den Zuschlag des Projekts – teilen sich alle gemeinsam als Team. Wer die ungeschriebenen Regeln verletzt, wird das nächste Mal vom Team ausgeschlossen sein.

Es ist also naheliegend, die Erfahrungen aus der eben beschriebenen Offertphase auf den ganzen späteren Planungs- und Ausführungsprozess zu übertragen. Weshalb ist dies herausfordernd? Nicht weil es an technischen Möglichkeiten oder dem Wissen um die entscheidenden Parameter fehlt, sondern weil dies einen Kulturwandel voraussetzt. Die Veränderung findet notwendigerweise zuerst in den Köpfen statt.

Abwicklungsmodelle und Vertragsarten

Es gibt mehrere integrierte Projektabwicklungsmodelle, die je nach Projekt spezifisch ausgestaltet werden können. Starre Modelle und Vorgaben bestehen also nicht. Ein entscheidender Ausgangspunkt liegt aber bei der Bauherrschaft: Wieviel Engagement kann und will sie in das Projekt stecken. Ein volles Engagement mit viel fachlichem und personellem Power lässt ein vollintegriertes kooperatives Modell zu (z.B. IPD-Modell). Verfügt die Bauherrschaft eher über wenige Ressourcen, spricht dies bspw. für ein kooperatives Gesamtleistungsmodell.  Auch bei den Vertragsformen bestehen keine fixen Konstrukte; vielmehr bestehen typenbestimmende Vertragsmerkmale, also die Regelgestaltung zu integrierter Organisationsform, zu Vergütung, Haftung und Streitbeilegung. Auch bezüglich der Vertragsform, bezüglich den Vertragsparteien oder bezüglich des Leistungsumfangs bestehen keine fixen Vorgaben. Es ist keinesfalls zwingend, dass die Beteiligten in einen Mehrparteienvertrag eingebunden sind. Im Rahmen von Allianzverträgen kann der Bauherr durchaus mit abgestimmten Einzelverträgen mehrere Leistungserbringer verpflichten oder nur mit einem Gesamtverantwortlichen einen einzigen Vertrag abschliessen, damit dieser dann seinerseits die Koordination aller Projektbeteiligten nach einem integrativen Prozess- und Vertragsmodell übernimmt. Mehrparteienverträge sind im Aushandlungsprozess zweifellos deutlich aufwendiger, da letztlich die Anliegen jeder Partei eingebracht werden und einigungsweise ausgehandelt werden. Welches Modell das geeignetste ist, hängt davon ab, welches Knowhow und welches Engagement der Bauherr im Projekt einbringt und in welcher Form die Projektbeteiligten zu den gleichen Kernregeln verpflichtet werden sollen.

Schlussgedanken

Der beschriebene Kulturwandel in der Planung und Abwicklung von Immobilienprojekten führt automatisch zu einer veränderten Streitkultur. Es geht nicht mehr darum, Risiken auf andere abzuschieben und isolierte Parteiinteressen durchzusetzen. Vielmehr besteht ein anreizgetriebenes Interesse aller involvierten Parteien an einer raschen und einvernehmlichen Problemlösung. Jedes grössere, ungelöste und aufgeschobene Problem wird unweigerlich den Projekterfolg schmälern. Es verlieren alle. Damit ist auch gesagt, dass die Rolle der involvierten Anwälte eine ganz andere ist. Durchdachte und konfliktvermeidende Verträge sind genauso gefragt, wie vorausschauende Einflussnahme auf Prozess und interessenbezogene Lösungsbeiträge. Für kosten- und zeitintensive Gerichtsverfahren bleibt damit kaum noch Raum.

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